Liebesbeziehungen zwischen polnischen und deutschen Männern und Frauen wurden durch die Nazi-Ideologie zu einem tödlichen Verbrechen.
Intime Beziehungen endeten für die polnischen Frauen mit einer KZ-Haft und für polnische Männer mit der „Sonderbehandlung“, durch den Tod am Galgen. Die deutschen Frauen wurden von den Nazis als “Ehrvergessene“ aus der “Volksgemeinschaft“ verstoßen und mit mehrjähriger KZ Haft bestraft. Zur öffentlichen Demütigung und Abschreckung sollten sie mit geschorenen Haaren durch das Dorf getrieben werden.
Vom Gerücht zur Verhaftung
Eine Liebesbeziehung von Stanislaus Wojciechowski mit einer Witwe aus Holdenstedt war Mitte Juli 1940 von mehreren Dorfbewohnern beobachtet worden. Erst auf Druck des Lehrers und fanatischen Nationalsozialisten Friedrich Boog (1) erfolgte die Anzeige eines so genannten „GV-Verbrechens“ durch den Ortsgruppenleiter bei der NSDAP Kreisleitung in Uelzen, die umgehend die Gestapo Lüneburg, benachrichtigte. „Der Automatismus der nationalsozialistischen Strafverfolgung, in diesen Fällen der Gestapo Willkür konnte nur greifen,weil eine Kenntnis um einen Vorgang den dörflichen Horizont verlassen hatte – ‚Meldung gemacht’ wurde. Die Vorentscheidung über Leben und Tod der Beteiligten fiel vor Ort.“ (2)
Die deutsche Frau wurde am 01. August 1940und Stanislaus Woyciechowski am 03. August 1940 verhaftet. Beide wurden direkt in das Gerichtsgefängnis Lüneburg gebracht. Hier hatte die Gestapo jeder Zeit Zugriff auf die Häftlinge. Die Anwendung von Gewalt bei Verhaftung und im Gefängnis bis zur Folter war Routine. Es gab weder Anklage noch Urteile.
Die Holdenstedterin musste zunächst „Arbeitsdienst“ in Hamburg leisten und kam im Februar 1942 in das Frauen-KZ Ravensbrück, aus dem sie am 04. August 1944 nach Hause entlassen wurde.
In dem Moment, in dem das Gerücht durch Denunziation den dörflichen Horizont verlassen hatte, war das Leben von Stanislaus Woyciechowski verwirkt. Die als „Sonderbehandlung“ bezeichnete Hinrichtung am Galgen war unausweichlich und wurde von der Gestapo Lüneburg im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin beim Reichsführer der SS Heinrich Himmler beantragt.
Weil er kein Deutscher war
Für Wojciechowski gab es nur eine minimale Chance dem sicheren Tod zu entkommen: durch die Feststellung einer möglichen „Eindeutschungsfähigkeit“ bei Überprüfung seiner eigenen Person (3) und seiner Familie durch das „Rasse- und Siedlungshauptamt des SS-Rassenamts“ im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin, denn Himmler wollte unbedingt verhindern, dass auch nur ein einziger Tropfen arischen Bluts verloren gehen könnte:
„Bei all den Völkern, die wir vor uns haben, da wird […] jeder herausdestillierte reine Blutstropfen herübergenommen, oder, wenn er sich nicht mehr herübernehmen läßt, ausgelöscht.“
(Heinrich Himmler, 1942 vor SS- und Polizeiführern in der Ukraine)
Für Stanislaus Woyciechowski konnte kein “reiner Blutstropfen“ “herausdestilliert“ werden. Weil er kein Deutscher war, musste er ausgelöscht werden.
SS-Vorschriften: menschenverachtend und entwürdigend
Der Ablauf der Gestapo-Exekutionen war durch geheime Vorschriften geregelt, deren kalter SS-Jargon die rassistische Menschenverachtung des NS-Regimes deutlich macht.Die öffentlichen Hinrichtungen sollten „aus Abschreckungsgründen in der Nähe des Tatorts vorgenommen werden“, wobei bei der Auswahl des Exekutionsplatzes „nach Möglichkeit die Anregungen des zuständigen Bürgermeisters und Ortsgruppenleiters sowie berechtigte Interessen des Grundstückeigentümers zu berücksichtigen“ seien. Absperrmaßnahmen mussten von der Schutzpolizei organisiert werden.
„Die Erhängung ist durch Schutzhäftlinge, bei fremdvölkischen Arbeitern durch Angehörige,möglichst der gleichen Volksgruppe,zu vollziehen. Die Schutzhäftlinge erhalten für den Vollzug je 3 Zigaretten.“ Die SS machte die KZ Häftlinge zu den Henkern ihres Landmanns und nahm ihnen jede Würde durch eine lächerliche Belohnung.
Einen Abschiedsbrief zu schreiben war verboten. „Die Verständigung der Angehörigen erfolgt grundsätzlich nach Durchführung der Exekution“ und war, „wenn erforderlich“, Aufgabe des RSHA oder der Arbeitsverwaltung bei Ostarbeitern.
Stanislaus Wojciechwski wurde in Handschellen direkt vom Gefängnis Lüneburg zum Exekutionsort ins Holdenstedter Mühlenholz gefahren. Das Exekutionskommando bestand aus zwei polnischen Häftlingen aus dem KZ Neuengamme.
Der Strick wurde an einem geeigneten Ast einer kräftigen Eiche befestigt. Bevor die KZ Häftlinge in Ihrer typischen gestreiften Häftlingskleidung ihrem jungen Landsmann die Schlinge um den Hals legten, musste der von der SS formulierte “Richtspruch“ verlesen werden. “Der Delinquent Stanislaus Wojciechowski hat wegen Geschlechtsverkehr mit einer Deutschen sein Leben verwirkt. Zum Schutze von Volk und Reich ist er vom Leben zum Tode zu befördern. Das Urteil werde vollstreckt.“
Anwesend waren als Täter und Mittäter die Lüneburger Gestapo, das Exekutionskommando aus dem KZ Neuengamme mit dem Standortarzt zur Feststellung des Todes, Ortsgruppenleiter, Ortsbauernführer und auch Bürgermeister oder Stellvertreter.
Zur Abschreckung wurden auch in Holdenstedt, wie bei allen öffentlichen Hinrichtungen üblich,die polnischen ZwangsarbeiterInnen aus der Region einzeln an dem Ort des Grauens vorbeigeführt. Sie mussten oft mehrstündige Fußwege zurücklegen.
Die lokale Bevölkerung war in der Regel von einer direkten Teilnahme ausgeschlossen. Die Hinrichtungen waren in den Orten bekannt und prägten das Dorfgespräch wochenlang.
Der Tatort liegt nur wenig Schritte von der aufgestellten Gedenktafel entfernt. Die Eiche, die zur Hinrichtung herhalten musste, ließ der Grundstücksbesitzer später fällen.
Vernichtung und Entwürdigung – über den Tod hinaus
“Der verantwortliche Dienststellenleiter hat pflichtgemäß zu entscheiden, ob die Leiche dem nächsten Krematorium zur Verbrennung zu überweisen oder der nächsten Universitätsklinik (Anatomie) zur Verfügung zu stellen ist. Falls die Überführungder Leichen […] nur unter großem Benzinverbrauch möglich ist, bestehen gegen die Beerdigung auf einem Judenfriedhof oder in der Selbstmörderecke eines großen Friedhofs keine Bedenken. Die entstehenden Kosten trägt die geheime Staatspolizei.“
Ziel der Ermordung war die Auslöschung, die Vernichtung. Bis auf Eintragungen in Gefangenenbüchern und der Sterbeurkunde sollte es keine Spuren geben. Eine Erinnerung an den gewaltsamen Tod musste mit möglichst großer Sicherheit verhindert werden.
Würde und Achtung
Die in Holdenstedt aufgestellte Tafel soll das Leben und Sterben von Stanislaus Wojciechowski dem Vergessen entreißen. Durch die Tafel soll ihm Achtung und Würde zurückgegeben werden. Die Holdenstedter Bürgerin wurde zusammen mit ihren Kindern ebenfalls Opfer des NS-Rassismus.
(1) Lehrer Friedrich Boog wurde die von ihm erwünschte Wiedereinstellung in Holdenstedt nach Rückkehr aus seiner Kriegsgefangenschaft durch energischen Widerstand von Teilen der Bevölkerung verwehrt. Er kehrte trotzdem 1951 in den Schuldienst in Wriedel (Landkreis Uelzen) zurück. Aus: Chronik Holdenstedt
(2) Nils Köhler, „Zwangsarbeit in der Lüneburger Heide“, Verlag für Regionalgeschichte, S. 382
(3) Zur Dokumentation einer evtl. „arischen“ Herkunft wurden zur Vorlage beim Rassen- und Siedlungsamt Ganzkörperfotos und Aufnahmen von Kopf und Gesicht in mehreren Ebenen angefertigt. Zusätzlich wurden Stellungnahmen des Arbeitgebers eingereicht.