Der kleinste Anlass genügte den Nazis als Grund für die Ermordung von Menschen, die nicht ihrem rassistischen Menschenbild entsprachen.
Ein Pole aus Westfalen
Heinrich Wieszczeczynski war Sohn einer polnischen Einwandererfamilie und wurde in Wanne/Westfalen geboren. Der Vater Vinzent Wieszczeczynski war Zechenschmied. Von der Wohnung in der Innenstadt war die Zeche “Alter Fritz“ zu Fuß erreichbar. Bei der Anzeige der Geburt seines Sohnes benutzte er seine Lebensmittelkarte als Ausweis.
Nach dem Schulbesuch erlernte Heinrich das Schlosserhandwerk. Einen deutschen Pass bekam er nie. Ab dem 20. Lebensjahr musste er für die Deutsche Reichsbahn als Mensch 2. Klasse Zwangsarbeit leisten. In Uelzen wohnte er in der „Polenbaracke“ in der Grabenstraße in unmittelbarer Nähe des Güterbahnhofs.
Nur eine Handgreiflichkeit
Am 16. Oktober 1942 kam es auf dem Uelzener Güterbahnhof zu einer Handgreiflichkeit zwischen Heinrich Wieszczeczynski und dem „volksdeutschen“ Arbeiter Artur Bauer. Möglicherweise war Bauer auch sein Vorgesetzter.
Verwaltung und Polizei: Komplizen der Gestapo
Die herbeigerufene Polizei benachrichtigte über Bürgermeister Farina die Gestapo Lüneburg. Die Einschaltung der Gestapo war Wieszczeczynskis Todesurteil. Noch am gleichen Tag wurde er in das Lüneburger Gerichtsgefängnis gebracht, was auf die besondere Schwere des Tatvorwurfs hinweist. In Lüneburg wurde Heinrich Wieszczeczynski als Gestapo-Schutzhäftling in das Gerichtsgefängnis gesteckt und weiteren Verhören unterzogen, die im Gestapo-Hauptquartier in der Julius Wolff Str. 4 stattfanden, und von denen wir wissen, dass sie mit äußerster Brutalität durchgeführt wurden. In einem besonders hergerichteten Keller misshandelte die Gestapo ihre Häftlinge, so dass oft laute Schreie auf der Straße zu hören waren, wie 1945 Zeugen bei Vernehmungen gegen Lüneburger Gestapo-Beamte aussagten.
Das folgende Vierteljahr musste Heinrich Wieszczeczynski als Schutzhäftling, d. h. ohne jeden anwaltlichen Beistand oder sonstige Rechte, im Gerichtsgefängnis Lüneburg verbringen. Man zwang ihn für Lüneburger Firmen unbezahlte Zwangsarbeit zu leisten, die ohne Skrupel von der Arbeitskraft der Häftlinge profitierten.
Während dieser Zeit geschahen zwei Dinge:
1. Die Gestapo Lüneburg beantragte über die Gestapo-Leitstelle Hamburg beim Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin eine „Sonderbehandlung“. Sonderbehandlung war im SS-Jargon die Bezeichnung für Mord.
2. Das RSHA beauftragte das „Rasse- und Siedlungshauptamt des SS-Rasseamts“ über den „Reichskommissar für die Festlegung des deutschen Volkstums“ eine Überprüfung von Heinrich Wieszczeczynski auf seine „Eindeutschungsfähigkeit“.(1)
“[L]eiten die Staatspolizei-Leitstellen nach Abschluß der Ermittlungen die Vorgänge mit allen erforderlichen Unterlagen (Lichtbilder, und zwar Kopfbild von vorn, und Kopfbild von der Seite, Bild in ganzer Größe sowie charakterliche Beurteilung) beschleunigt dem Höheren SS- und Polizei-Führer zu, der […] die Vornahme der rassischen Untersuchung und die Prüfung auf Eindeutschungsfähigkeit veranlasst.“ (2)
Mit der berühmten deutschen Gründlichkeit bereiteten die Nazis die Ermordung derjenigen vor, die keine Deutschen waren.
Nach Bestätigung seiner slawischen Abstammung wurde Heinrich Wieszczeczynski am 15. Januar 1943 ohne Gerichtsverfahren durch die Gestapo Lüneburg im Uelzener Stadtwald hingerichtet.
Heinrich Wieszczeczynski wurde in Handschellen direkt vom Gefängnis zum Exekutionsort gebracht. Die Hinrichtung musste ein Exekutionskommando mit zwei polnischen Häftlingen aus dem KZ Neuengamme durchführen. Anwesend waren neben den Gestapo-Beamten,
örtliche NSDAP-Führer und auch mehrere Uelzener Polizeibeamte.
Vor dem Anlegen der Schlinge wurde vom Leiter der Exekution der von der SS formulierte „Richtspruch“ verlesen:
„Der Delinquent Heinrich Wieszczeczynski hat seinen Arbeitsvertrag gebrochen. Zum Schutze von Volk und Reich ist er vom Leben zum Tode zu befördern. Das Urteil werde vollstreckt.“
Zur Abschreckung wurden alle polnischen ZwangsarbeiterInnen der Region am Leichnam ihres noch am Galgen hängenden Landsmanns vorbeigeführt. Von den Gestapo Leuten wurden sie über die Gründe für die Hinrichtung unterrichtet:
„Sie sind nach Deutschland geschickt worden, um zu arbeiten. Sie werden gut behandelt und haben hier Arbeit und Brot gefunden. Sie wissen ganz genau, dass sie unseren Anweisungen zu folgen haben. Wieszczeczynski hat diese Anforderungen missachtet. Aus diesem Grund ist er hingerichtet worden.“ (1)
Bei Bedarf übersetzte ein polnisch sprechender Gestapo-Mann.
Der Tod von Heinrich Wieszczeczynski wurde beim Standesamt nicht wie üblich durch die Gestapo, sondern durch Bürgermeister Farina mit der Angabe “Tod durch Erhängen“ schriftlich angezeigt.
Ob der Vater Vincent Wieszczeczynski – damals wohnhaft in Posen – jemals vom Tod seines Sohnes Heinrich informiert wurde, erscheint an Hand der SS-Vorschrift fraglich, denn die Benachrichtigung war Aufgabe des RSHA. Dass sein Sohn von der Gestapo ermordet wurde, weil er kein Deutscher war, hat er bestimmt nie erfahren.
„Die Verständigung der Angehörigen erfolgt grundsätzlich erst nach Durchführung der Exekution […] Wohnen die Angehörigen des Exekutierten nicht im Reichsgebiet oder handelt es sich um in den eingegliederten Ostgebieten wohnende Polen übernimmt das RSHA die evtl. erforderliche Verständigung. Bei Ostarbeitern unterrichtet die zuständige Staatspolizei-leit-stelle das Arbeitsamt mit dem Hinweis, dass den Angehörigen die Todesursache nicht bekannt zu geben ist.
Der Reichsführer der SS und Chef der Deutschen Polizei“ – SIVD2-450/42g-81-v.06.01.1943 (2)
Der betont sachliche Sprachstil, der SS-Jargon, offenbart die Willkür und Rohheit im Umgang mit Menschen, die nicht zur selbst erhobenen „Herrenrasse“ gehörten.
Würde und Achtung
Mit dem Aufstellen der Gedenktafel soll das Leben und Sterben von Heinrich Wieszczeczynski dem Vergessen entrissen werden. Durch die Erinnerung soll ihm Achtung und Würde zurückgegeben werden.
Zum Gedenken an
Heinrich Wieszczeczynski
geb.: 09. Oktober 1919 in Wanne / Westfalen
ermordet: 15. Januar 1943 in Uelzen
Heinrich Wieszczeczynski wurde wegen einer Handgreiflichkeit im Alter von 23 Jahren durch die Gestapo Lüneburg im Uelzener Stadtwald hingerichtet. Der Tatort lag zwischen der Bahnstrecke und der Ebstorfer Straße.
(1) „Wege Gegen das Vergessen“ Täter und Opfer. Uelzen im Nationalsozialismus.
Bündnis gegen rechts Uelzen, 2. Auflage 2014, S. 62-65
(2) Rolf Hochhuth, Eine Liebe in Deutschland, Rowohlt Verlag, 1. Auflage 1978
S. 229