[AZ] Leserbrief: Gedenken mit fadem Beigeschmack

Leserbrief zum Artikel „Vor den Augen von Nachbarn“ über die Gedenkveranstaltung zum Schicksal der Uelzer Familie Becker im Nationalsozialismus, AZ vom 13. Mai:.

„Gedenken hat etwas damit zu tun, dass etwas anders und neu werden kann“, sagte Pastor Reinhard Klingbeil in seiner Grußbotschaft an die Gäste der Gedenkveranstaltung. Ob er das auch pro domo meinte, daran sind Zweifel angebracht.

Ob Klingbeil sich am 11. Mai 2013 oder kurz davor bereits, als er den im Rathaus abgewiesenen Antragstellern der Gedenkveranstaltung das Martin-Luther-Haus anbot, an sein und das Nein des Kirchenvorstandes von St. Marien erinnert hat, als er der Initiative „Keine Nazi-Straßennamen in Uelzen“ im Juni 2010 schriftlich mitteilte, die Kirche sei nicht bereit, die Forderung nach Umbenennung der Farina- und Seebohmstraße zu unterstützen? Außerdem grenzte sich Klingbeil in seiner Grußbotschaft an die Gäste im Martin-Luther-Haus gleich zweimal von jenen Menschen ab, die sich öffentlich darüber aufgeregt hatten, dass die NS-Täter Farina und Seebohm jahrelang durch Straßennamen geehrt wurden und dass Uelzens heutiger SPD-Bürgermeister Lukat lange Zeit alles tat, sie in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen, bis hin zu dem jüngsten Skandal, dem „Bündnis gegen Rechts“ den Rathaussaal für die Gedenkveranstaltung mit der Rückendeckung sämtlicher, im Stadtrat vertretenen Parteien, zu verweigern. Sich darüber, nicht nur hinter vorgehaltener Hand, sondern auch öffentlich aufzuregen, soll nicht menschlich verständlich sein, Herr Pastor?

Versöhnung mit Steigbügelhaltern des NS-Regimes, mit Geschichtsklitterern, mit Sub–alternen in Uelzens Rathaus und andernorts, die Antifaschisten und Demokraten behindern und ausgrenzen, weil sie, wie das „Bündnis gegen Rechts“, einen „politischen Anstrich“ haben, darf es so lange nicht geben, wie sie auf der Richtigkeit ihres reaktionären Denkens beharren oder es mit formalistischen Argumenten kaschieren.

Das politische Koordinatensystem der Veranstalter der Gedenkveranstaltung scheint etwas durcheinander geraten zu sein. Ein (spätes) Gedenken an NS-Opfer führt sich, jedenfalls zum Teil, selbst ad absurdum, wenn man diejenigen, die einem angemessenen Gedenken administrative und politische Knüppel zwischen die Beine werfen, auch noch einlädt, mit Unschuldsmiene eine Grußbotschaft am Gedenktag zu verkünden, um sich einen „weißen Fuß“ zu machen. „Salonfähig“ wird man nicht dadurch, indem man sich anbiedert.

Mich erinnert das an den IG-Bau-Chef Klaus Wiesehügel, der – wenngleich bis vor kurzem noch einer der schärfsten Gegner der menschenverachtenden Politikkonzepte des SPDlers Peer Steinbrück – sich jetzt zur bevorstehenden Bundestagswahl in das sogenannte Kompetenzteam eben dieses Peer Steinbrück begibt. Was für eine unglaubwürdige Botschaft!

Der Scheinheiligkeit der Stadt Uelzen aufgrund der Einladung an die Vizebürgermeisterin, eine Grußbotschaft auf der Gedenkveranstaltung zu halten, haben die Veranstalter damit Vorschub geleistet. Insoweit hatte die Gedenkveranstaltung leider einen faden Beigeschmack.

Margit Wulf,

Suderburg