[Barftgaans] Ein Zeichen gegen das Vergessen

Uelzen erinnert an die Pogromnacht vom 9./10. November 1938

Sich erinnern gehört zum Menschsein. Die Erinnerung an die Geschichte wachzuhalten ist eine stetige Aufgabe aller Generationen. Zahlreiche Uelzener gedachten gestern der Opfer der Pogromnacht vom 9. November 1939. Die Pfadfinder hielten eine Mahnwache und erleuchteten die Dunkelheit mit Fackeln. Die Namen der Menschen jüdischen Glaubens, die in Uelzen einst gelebt hatten, wurden verlesen.

In Augenzeugenberichten wurde an die Schrecken jener Nacht vor 75 Jahren erinnert. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ging als Reichspogromnacht in die Geschichte ein. Sie war ein düsteres Vorzeichen für den späteren Völkermord der Nazis an den europäischen Juden. In ganz Deutschland wurden jüdische Geschäfte geplündert und etwa 100 Juden ermordet.

Bürgermeister Otto Lukat legte zusammen mit Birte Ebermann vom Kulturmanagement der Stadt am Mahnmal am Herzogenplatz einen Kranz nieder. Lukat dankte dem Bündnis gegen Rechts, das gestern mit einem „Waschtag“ Nazi-Schmierereien in Uelzen beseitigt hat. Ebenso wichtig sei die Arbeit der Geschichtswerkstatt, die mit Führungen immer wieder an die jüdischen Bürger Uelzens erinnere. „Auch nach 75 Jahren ist der Rechtsradikalismus lebendig, auch in unserer Stadt“, sagte Lukat. Parolen, Nazi-Symbole und andere Schmierereien seien Zeugnis dafür. Er mahnte dazu, solchen Tendenzen mit bürgerschaftlichem Engagement zu begegnen. „Wir müssen stets wachsam sein.“

„Ein Kind unserer Zeit“
Schauspieler Rolf Becker erinnerte in einer bewegenden Lesung an Herschel Grynszpan. Grynszpan, ein 17-Jähriger polnischer Jude, erschoss am 7. November 1938 den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris. Dieses Ereignis lieferte den Nationalsozialisten den Vorwand, den sie brauchten, um in einer Welle antisemitischer Gewalt am 9. November gegen die jüdische Bevölkerung loszuschlagen.

Der englische Komponist Michael Tippett setzte Grynszpan ein musikalisches Denkmal. „A child of our time“ – Ein Kind unserer Zeit“ – erzählt anonymisiert die Geschichte des 17-Jährigen. Tippett nahm an dem Entsetzen über die Gewaltexzesse gegenüber den Juden Anteil – die Geschehnisse des 9. November veranlassten den Komponisten zu „A child of our time.“ Der Titel geht auf einen Romantitel von Ödön von Horváth zurück, in dem die Geschichte eines am sinnlosen Krieg verzweifelnden Soldaten geschildert wird.

Rolf Becker ruft die Geschichte Herschel Grynszpans wieder ins Bewusstsein. Geboren 1921 in Hannover, die Eltern sind polnische Juden. Grynszpan war als 14-Jähriger im Jahr 1935 aus Deutschland nach Frankreich emigriert. Anfang November 1938 erfuhr er, dass seine Eltern mit zehntausend Anderen nach Polen deportiert worden waren. Aus Verzweiflung über die unmenschliche Behandlung der Juden kaufte er sich am 7. November 1938 einen Revolver und erschoss damit den Botschaftssekretär Ernst vom Rath. Nach dem französischen Polizeiprotokoll beschimpfte er Rath dabei als „dreckigen Deutschen“ und rief aus, dass er im Namen von 12.000 verfolgten Juden handele. Ähnlich äußerte er sich in dem bei ihm gefundenen Abschiedsbrief an seine Eltern: Sein Herz habe geblutet, als er von ihrem Schicksal gehört habe, er müsse protestieren, so dass die ganze Welt davon erfahre.

Grynszpan kam für 20 Monate ins Gefängnis. Bei einer Verlegung in Südfrankreich konnte er fliehen, stellte sich aber später den französischen Behörden. Ohne Prozess kam er 1942 ins KZ Sachsenhausen. Um den 26. September 1942 herum wurde er ins Zuchthaus nach Magdeburg verlegt. Was im Einzelnen danach mit ihm geschah, ist nicht genau geklärt; jedenfalls wurde er– vermutlich noch 1942 oder Anfang 1943– ermordet.

Dass das Thema Antisemitismus aktueller ist denn je, können Besucher in der Ausstellung „Man hat sich hierzulande daran gewöhnt“ der Amadeu-Antonio-Stiftung erfahren. Sie ist noch bis zum kommenden Sonntag, 17. November in der St.-Marien-Kirche in Uelzen zu sehen.

Quelle:

http://barftgaans.de/index.php/2-uncategorised/452-ein-zeichen-gegen-das-vergessen