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[AZ] Gegen das Vergessen

Bündnis gegen Rechts erinnert an Uelzener Schicksale im Nationalsozialismus

 „Das Bedürfnis Leiden beredet werden zu lassen, ist die Bedingung aller Wahrheit.“ Diese Worte Theodor W. Adornos fand Dr. Dieter Thiel zum Abschluss einer ganz besonderen Stadtführung. Und so steht es auch auf dem Innentitel des erst kürzlich vom „Bündnis gegen Rechts“ in Uelzen herausgegebenen Buches „Wege gegen das Vergessen“. Mit Thiel machten sich rund 70 intressierte Bürger auf den Weg, an einzelnen Stationen in der Stadtz etwas über das Schicksal ihrer Mitmenschen zu erfahren, die vor 80 Jahren ins Visiert der damals an die Macht gekommenen Nationalsoziliasten geraten waren.

Start dieses Stadtrundgangs  der besonderen Art war am Hammersteinplatz. Dort entzündete sich der braune Terror damals am Gewerkschaftshaus und an dessen Gewerkschaftssekräter Emil Seidenschnur, erläuterte Thiel. Über die folgende reichweite Zerschlagung der Gewerkschaften ganz allgemein und die Verfolgung Seidenschnurs im Speziellen wurde hier gesprochen.

Das Thema „Juden in Uelzen“ wurde ausführlich besprochen am Beispiel der Familie Hermann Benjamin (Gudesstraße 28), Therese Plaut, deren Textilkaufhaus 1936 von Ludwig Zierath übernommen wurde (später Wilgrü, demnächst C&A), dem weiteren Zweig der Familien Plaut/Jordan (Brückenstraße 5) und der Familie Deutsch (Lüneburger Straße 19). Nicht aufgesucht, aber erwähnt wurde das von der Gestapo zum „Judenhaus“ deklarierte Wohnhaus der Familie Max Lerner (Lüneburger Straße 56, damals Adolf-Hitler-Straße 95).

In der Brückenstraße wurde außerdem der von Bürgermeister Johann Maria Farina durch seine Unterschrift angewiesenen Hinrichtung des polnischen Zwangsarbeiters Heinrich Wiesczecynski in der nahen Ilmenau-Au gedacht und die Ansicht geäußert, dass auch ihm eine Erinnerungstafel gebühre.

Am Parkplatz Tarterhof wurde an den Tod des Hauptmanns Erich Marquardt erinnert, der auf Anweisung von Kreisleiter Heinrich Schneider nur wenige Stunden vor der Einnahme der Stadt durch britische Truppen im Hof der Kreisleitung erschossen wurde. Makaber: Erst 1961 soll die Familie Erich Marquardts Kenntnis von seinem Tod und den Umständen, die dazu geführt hatten, erhalten haben. Eine weitere Station auf dem Weg gegen das Vergessen waren das Alte Rathaus, wo über die Verwaltungsstruktur und die Befugnisse nach der Machtübernahme durch die NSDAP berichtet wurde. An der Hutmacherstraße schilderte Dr. Thiel sichtlich bewegt die Schikanen und das Schicksal des Uelzener Tierarztes Dr. Rudolf Becker und seiner Frau Hermine.

An der Schuhstraße befand sich bis zu seiner Schließung durch die Nationalsozialisten ein jüdisches Bethaus, der Halt gab Gelegnheit, darauf hinzuweisen, dass es zu allen Zeiten Verfolgung der jüdischen Minderheit gegeben hatte – unter den Nazis wurde sie perfektioniert.

Nach ihrem bewegenden Bericht über Not und Elend der polnischen und osteuropäischen Zwangsarbeiter und die im Vergleich mit der gesamten Heide-Region in Uelzen besonders rigide durchgeführten polizeilichen Maßnahmen ehrte Rante Meyer-Wandtke am Mahnmal am Herzogenplatz die zwischen 1933-1945 Verfolgten und stellte eine Blumen-Schale auf.

Quelle:
Allgemeine Zeitung (AZ) Uelzen, 1. Oktober 2013

[AZ] Gegen das Vergessen

Premiere der neuen Stadtführung durch das Uelzen der 30er und 40er Jahre

Die geschichtlichen Stadtrundgänge, die in der Stadt Uelzen angeboten werden, sind mit schöner Regelmäßigkeit ausgebucht.

Eher wenig erfährt man bei diesen Führungen über die Zeit zwischen 1933 und 1945 – ein Umstand, dem die am vergangenen Sonntag erstmals angebotene Führung „Wege gegen das Vergessen“ abhelfen möchte.

Das Uelzener Bündnis gegen Rechts hatte zum Rundgang über zehn Stationen geladen. Er begann am Hammersteinplatz, wo das ehemalige Gewerkschaftshaus stand und wo bereits im September 1930 mit der „Möbelwagenschlacht“ eine Straßenschlacht tobte, als mit Dachlatten bewaffnete Nazis provozierend mit einem Wahlkampfwagen der NSDAP vorbeizogen und von Arbeitern angegriffen wurden. 17 Arbeiter – keineswegs nur Kommunisten – wurden in der Folge zu Haftstrafen bis zu acht Monaten verurteilt.

An der Ecke Gudesstraße/Ilmenauufer erfuhren die Teilnehmer des Rundganges, was polnischen Zwangsarbeitern blühte, die den Fehler begingen, sich mit ihren deutschen Kollegen zu streiten. Heinrich Wiesczerczynski, polnischer Zwangsarbeiter, arbeitete bei der Reichsbahn und geriet im Oktober 1942 in eine Rangelei mit seinem volksdeutschen Arbeitskollegen Arthur Bauer. Auf Anzeige des damaligen Bürgermeisters Farina kam Heinrich in monatelange „Schutzhaft“ bei der Gestapo. Die Gestapo beantragte eine „Sonderbehandlung“ Heinrichs. Mit anderen Worten: Er sollte hingerichtet werden. Parallel zu diesem Antrag wurde von der Gestapo aber auch die „Eindeutschungsfähigkeit“ Heinrichs geprüft, damit man nicht aus Versehen einen Arier hängte. Arische Vorfahren aber hatte Heinrich nicht zu bieten. Er wurde am 15.1.1943 vor polnischen Zwangsarbeitern zur Abschreckung in den Ilmenauwiesen gehängt.

Gut dokumentiert sind die Schicksale jüdischer Mitbürger, die an mehreren Erinnerungsorten vorgestellt wurden. Weniger bekannt ist, wie das „Führerprinzip“ auch auf der Ebene der Gemeinden durchgesetzt wurde, dargestellt am Beispiel Farinas beim Alten Rathaus.

Und auch Schicksale wie das des Uelzener Tierarztes Dr. Rudolf Becker, weder Jude noch Linker, ließen die Zuhörer fassungslos über den Naziterror zurück.

Die Führung wird in unregelmäßigen Abständen wiederholt und aus den Texten, die an den einzelnen Stationen vorgetragen werden, soll eine Broschüre entstehen, die auch im Geschichtsunterricht an Schulen eingesetzt werden kann.

Quelle:
http://www.az-online.de/lokales/landkreis-uelzen/uelzen/gegen-vergessen-1393276.html